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„Am Ende muss ja irgendjemand die Kosten übernehmen“

Thomas Jarzombek ist bildungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion – und damit der Gegenspieler von Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP). Er hält ihr Zaudern beim Digitalpakt 2.0 für hoch problematisch. Darüber hinaus kritisiert der Düsseldorfer Landesregierungen, die glauben, mit selbst entwickelten Schulplattformen besser zu fahren als mit marktreifen Lösungen. Einfach.Digital.Lernen. (EDL) sprach mit ihm über seine Kritik.

EDL: Wie ist der Stand der Dinge beim Digitalpakt 2.0?
Jarzombek: Stand der Dinge ist eine große Unsicherheit bei allen Beteiligten, weil einerseits die Bundesministerin erklärt hat, es soll einen Digitalpakt 2.0 geben. Auf der anderen Seite aber kommen die Verhandlungen nicht vorwärts.

Wenn keine Mittel eingestellt werden, dann wird auch im nächsten Jahr kein Digitalpakt 2.0 starten können.

Thomas Jarzombek, Bildungspolitischer Sprecher der CDU/CSU Bundestagsfraktion

EDL: Auch der Koalitionsvertrag der Ampel sieht einen Digitalpakt 2.0 vor…
Jarzombek: Zunächst hat die Bundesregierung alles getan, um den Eindruck zu erwecken, der Digitalpakt 2.0 würde kommen. Aber seit einigen Monaten entsteht der Eindruck, dass er vielleicht doch nicht kommt. Oder wenn er kommt – dann deutlich später. Und das ist natürlich ein Problem. Gerade in den Kommunen müssen Entscheidungen getroffen werden – über die Verlängerung von Verträgen, auch über Personal. Und in dem Moment, in dem nicht genau klar ist, dass es da weitergeht, wird das – ähnlich wie bei den Sprach-Kitas – dazu führen, dass Verträge einfach auslaufen, oder sogar gekündigt werden müssen. Denn vor Ort muss die Frage beantwortet werden, wie die Verpflichtungen, die sie langfristig eingehen, auch finanziert werden.

Der Digitalpakt läuft im Mai nächsten Jahres aus. Es wird dann noch weiteren Mittelabfluss für bereits eingereichte Projekte geben, neue Vorhaben können aber nicht mehr angegangen werden. Und es können auch keine Personen weiterbeschäftigt werden.

EDL: Das heißt: Viele angeschobene Projekte laufen aus, weil zunächst keine Anschlussfinanzierung erfolgt.
Jarzombek: Exakt so sieht das aus. Die Haushaltsberatungen im Bund sehen traditionell immer so aus, dass sie sich durch den Herbst hinweg ziehen. Dann wird in der Regel in den Sitzungen im November, Dezember endgültig der Haushalt beschlossen. Insofern besteht noch die Möglichkeit, die versprochenen Mittel bereitzustellen. Wenn keine Mittel eingestellt werden, dann wird auch im nächsten Jahr kein Digitalpakt 2.0 starten können.

Und so hat man ja die Ministerin auch verstehen können, die schon hat anklingen lassen, dass sie es nicht so schlimm fände, wenn das erst 2025 passieren würde – das ist eine Logik, die wir, ehrlich gesagt, nicht richtig nachvollziehen können. Wenn im Mai der alte Digitalpakt aufhört, dann bleibt natürlich mindestens schon mal eine Lücke von sieben Monaten.

Und wie gesagt, da gehen Strukturen verloren, weil diejenigen, die die Verantwortung tragen, Personal dann eben kündigen müssen. Das ist dann weg. Die Leute werden auch nicht mehr so schnell wiederkommen. Es ist ohnehin für die Kommunen eines der größten Probleme, geeignetes IT-Personal zu finden.

EDL: Gemeint ist die Administration von Schul-IT, die über einen Sonderfond des Digitalpakts finanziert wird.
Jarzombek: Ja. Es ist aber nicht nur die Administration, es ist auch die ganze Planung, die in den Kommunen stattfindet. In der Stadtverwaltung müssen Personen arbeiten, die in der Lage sind, solche großen Netzwerke zu steuern und konzeptionell zu durchdringen, wie die Digitalisierung in Schulen funktioniert. Eine Stadt wie Düsseldorf hat schon vor Jahren über 5.000 Computer in die Schulen gebracht – so viele wie in der gesamten übrigen Stadtverwaltung. Um das zu steuern, sind Menschen notwendig, die Ahnung von IT haben und solche Prozesse strukturieren können.

Der Bund hat genügend Möglichkeiten. Nichtsdestotrotz wird gerade im Haushalt für Bildung und Forschung massiv gespart.

EDL: Die Konkurrenz der Wirtschaft, die ebenfalls händeringend IT-Fachkräfte sucht, ist vermutlich groß…
Jarzombek: Das ist die größte Gefahr: Wenn erstmal die Leute von Bord gegangen sind oder sich aus dem Schulamt hinaus auf andere Stellen in der Stadtverwaltung beworben haben, dann sind sie prinzipiell für die Schulen erstmal weg. Diese wieder zurückzukriegen in den Schuldienst wird dann extrem schwierig. Deshalb ist diese Lücke, auf die wir gerade zulaufen, so gefährlich. Sie birgt das Risiko, dass Strukturen, die mühsam aufgebaut wurden, zerstört werden und dann mit noch sehr viel größerer Mühe und sehr großem Aufwand über einen langen Zeitraum erst wieder erstellt werden müssen.

EDL: Nun hören Sie ja auch den Flurfunk im Bundestag. Ist das jetzt ein normales Gerangel zwischen Bund und Ländern darum, wer die Rechnung bezahlt? Dazu gehören ja immer Rituale wie bei Tarifverhandlungen. Oder steckt da mehr dahinter aus Ihrer Sicht? Geht dem Bund womöglich schlicht das Geld aus?
Jarzombek: Grundsätzlich geht dem Bund überhaupt nicht das Geld aus. Das Verrückte ist ja: wir haben momentan die höchsten Steuereinnahmen, die es jemals gegeben hat. Der Bund hat genügend Möglichkeiten. Nichtsdestotrotz wird gerade im Haushalt für Bildung und Forschung massiv gespart.

Mehr als eine Milliarde muss gespart werden, kein anderes Ressort wird so stark rangenommen wie Bildung und Forschung. Gleichzeitig steigt der Sozialetat um über 5 Mrd. Euro. Doch hat sich die Bundesbildungsministerin festgelegt, dass sie ein Startchancen-Programm im nächsten Jahr beginnen möchte. Allein dafür will sie die vom Bundesfinanzminister versprochene Bildungsmilliarde investieren. Das heißt, von der Bildungsmilliarde, die im nächsten Jahr übrigens nur eine halbe Milliarde ist, sehen all die anderen bildungspolitischen Vorhaben nichts.

Die Idee des Startchancen-Programms gründet sich ja auf erfolgreich laufenden Länderprogrammen wie in Nordrhein-Westfalen zum Beispiel die Talentschulen oder in Schleswig-Holstein die Perspektivschulen. Muss der Bund hier nochmal neue Ideen entwickeln – oder wäre es nicht besser, die Länder bei dem, was sie ohnehin schon machen, zu unterstützten? Zum Glück hat sich die Bundesbildungsministerin jetzt doch durchgerungen, diese Länderprogramme im Startchancen-Programm mit zu berücksichtigen. Auf erste grobe Eckpunkte haben sich Bund und Länder jetzt geeinigt. Aber das ist noch kein Durchbruch. Fraglich ist weiterhin, ob der Digitalpakt 2.0 zusätzlich wirklich kommt.

Ich hatte in den letzten Wochen den Eindruck, dass der Bund sein Startchancen-Programm durchdrücken will und der Hebel dafür der Digitalpakt 2.0 ist – nach dem Motto: „Wenn ihr beim Startchancen-Programm nicht richtig mitmachen wollt, dann kriegt ihr auch kein Geld für den Digitalpakt.“ Das ist eine milde Form der Erpressung und kommt bei den Ländern nicht besonders gut an.

EDL: Was würde denn passieren, wenn der Digitalpakt 2.0 überhaupt nicht zustande käme?
Jarzombek: Am Ende muss ja irgendjemand die Kosten übernehmen, die heute der Bund trägt. Es ist ja kein Geheimnis, dass es unter den 16 Bundesländern arme und reiche gibt. Ein Land wie Bayern wird im Zweifelsfall alles auch aus der eigenen Tasche finanzieren können. Aber insbesondere in den neuen Bundesländern oder in einem Stadtstaat wie Bremen stellt sich dann halt immer die Frage: Geht das überhaupt noch? Und manche werden sagen müssen: Nein.

Das wird dann zur Frage der Chancengerechtigkeit: Ob Kinder in der Schule lernen, mit digitalen Medien umzugehen, hängt dann vom Wohnort ab. Denn auf der kommunalen Ebene gibt es das gleiche Problem: In der vergleichsweise wohlhabenden Stadt Düsseldorf sind viel mehr Dinge möglich als zum Beispiel im benachbarten Duisburg oder in anderen Gemeinden des Ruhrgebiets, wo es traditionell finanziell ziemlich knapp ist. Insofern droht die Digitalisierung der Schulen in eine Zweiklassengesellschaft überzugehen, wenn der Digitalpakt 2.0 nicht kommt.

EDL: Was ist denn aus Ihrer Sicht überhaupt Stand der Dinge beim Digitalpakt? Ist eine zufriedenstellende Digitalisierung in den Schulen erreicht oder sind wir noch in der Aufbauphase?
Jarzombek: Bei der Digitalisierung der Schulen wird es wohl nie einen Endpunkt geben, weil es um eine kontinuierliche Entwicklung geht. Es werden immer wieder neue Geräte benötigt, es gibt neue Möglichkeiten, neue Software, die den Unterricht bereichern. Die Lehrer müssen unentwegt fortgebildet werden, weil sich die digitale Welt weiterdreht. Es ist also kein Projekt, bei dem man sagen könnte, wir investieren jetzt mal zwei oder drei Jahre und dann ist da ein Haken dran: fertig und läuft. Es handelt sich um eine Daueraufgabe, die am Ende alle fordert, damit Deutschland nicht den Anschluss verliert.

Wir haben aber mit dem Digitalpakt eine Menge geschafft. Die Mittel sind inzwischen alle verplant, die Ausstattung läuft. Ohne den Digitalpakt wären wir heute noch nicht so weit, auch wenn da natürlich noch eine Menge Luft nach oben ist. Ich sehe insbesondere im Bereich der Anwendung sehr viel Luft nach oben, weil wir uns bisher sehr stark auf die Frage konzentriert haben, was für Geräte gekauft und wie die eingesetzt und gewartet werden sollen. Aber am Ende muss man sich ja auch die Frage stellen, was wollen wir mit digitaler Bildung eigentlich erreichen? Es geht zunächst mal darum, die Kinder und Jugendlichen auf die digitale Welt vorzubereiten, ihnen Medienkompetenz zu vermitteln, zu zeigen, wie funktionieren Algorithmen.

Darüber hinaus ist digitale Technik aber auch ein super Instrument, um in einer Klasse mit sehr starken Leistungsunterschieden individuelles Lernen zu ermöglichen, indem jeder in seinem eigenen Tempo lernen kann. Und, was ich persönlich besonders wichtig finde: dass sich Schülerinnen und Schüler mit digitalen Formaten besser motivieren lassen. Man sieht das bei diesen ganzen Lernspielen, die es draußen gibt. Insofern, glaube ich, ist die Digitalisierung der Schulen eine Riesenchance, gerade bei den Kindern, die aus bildungsfernen Elternhäusern kommen, besseren Lernerfolg zu erreichen.

EDL: Ist es dann nicht eine Vergeudung von Ressourcen, wenn jedes Bundesland für sich eine eigene Bildungsplattform bastelt und dann quasi die Lehrkräfte zu, na ja, Testpersonen für nicht ausgegorene Software macht – statt mal marktreife Lösungen zu setzen. Das Land Nordrhein-Westfalen zum Beispiel hat sich entschlossen, seine marode Schulplattform Logineo zu sanieren – ohne erhoben zu haben, wie teuer das wird und ob nicht eine kommerzielle Lösung einfach eine bessere wäre. Wie kann das sein?
Jarzombek: Also, ich habe da eine ganz klare Meinung. Ich glaube, dass die öffentliche Hand grundsätzlich keine Software selbst entwickeln sollte, nur in äußersten Ausnahmefällen. Und ich sehe, dass es hier einen Markt gibt von mittelständischen Unternehmen, die Lösungen für Schulen anbieten. Auch bei mir in Düsseldorf sehe ich Schulen, die schon vor Jahren damit begonnen haben, Lernmanagementsysteme zu nutzen. Sie haben diese mit sehr viel Engagement auf die Bedürfnisse ihrer Schülerinnen und Schüler angepasst – und wurden dann irgendwann dazu gezwungen, das vermeintlich kostenlose Logineo zu nutzen. Eine Menge Motivation ist da am Ende kaputt gemacht worden.

Nach letztem Stand braucht Logineo rund 200 Millionen Euro öffentlicher Mittel für die nächsten Jahre. Deshalb ist das natürlich keineswegs eine kostenlose Lösung, sondern ganz schön teuer für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Ich glaube, es macht mehr Sinn, solche Lösungen im Markt zuzukaufen, den Schulen selbst auch die Hoheit zu überlassen, zu entscheiden, was sie eigentlich machen wollen. Ich habe den Eindruck, die Schulen wissen selbst am besten, was sie gebrauchen können. Und wenn man sich vor Ort verschiedene Softwareprodukte anguckt und sich dann für eins entscheidet, dann ist das auch eine Entscheidung, hinter der eine Schule dann auch steht. Alles das, was an Mittelebenen dazwischen ist und kleinteilige Vorschriften macht, das frustriert die Akteure vor Ort. Die müssen wir aber motivieren. Das finde ich wichtig, denn da sind unglaublich engagierte Leute vor Ort und denen sollten wir nicht ständig mit all diesen ganzen Vorgaben Stöckchen in die Speichen stecken, sondern sie einfach mal ein Stück weit machen lassen.