(v.l.) Moderator Jan Hofer im Gespräch mit Jürgen Böhm, Volker Jürgens, Frank Rock und Nilgül Karabulut-Klöppelt. Foto: AixConcept

Didacta-Diskussionsrunde: „Wir müssen eine Verknüpfung mit der heimischen mittelständischen Wirtschaft hinbekommen“

KÖLN. Wie lassen sich Schulen entlasten, die derzeit mit den Folgen von Pandemie und Ukraine-Krise zu kämpfen haben? Mit Blick auf die Digitalisierung stellte eine prominent besetzte Diskussionsrunde auf der Bildungsmesse didacta fest: Lehrkräften schon mal die IT-Administration von den Schultern nehmen!

Welche Erkenntnisse haben wir aus der Pandemie-Zeit gewonnen? Wie kann Schule den Herausforderungen begegnen? Werden für eine zukunftsorientierte Bildungsinfrastruktur bereits die nötigen Rahmenbedingungen geschaffen? – Fragen, die Moderator Prof. Dr. Jan Hofer vom Fachbereich Informatik und Kommunikation der Westfälischen Hochschule eingangs in die Runde warf. Ort des Geschehens: das Forum Schulpraxis auf der didacta, Europas größter Bildungsmesse, die jetzt in Köln stattfand.

Die Runde bestand aus: Jürgen Böhm, Bundesvorsitzender des Verbands Deutscher Realschullehrer (VDR), Volker Jürgens, Geschäftsführer von AixConcept – dem IT-Dienstleister für Schulen –, Nilgül Karabulut-Klöppelt, Referentin für Bildung bei der SPD-Fraktion im Landtag NRW sowie Frank Rock, Landrat des Rhein-Erft Kreises.

Wir müssen den Kollegien jetzt Luft lassen zum Atmen!

Frank Rock, Landrat des Rhein-Erft Kreises

Das System sei aktuell „angestrengt“, befand VDR-Bundesvorsitzender Böhm: Die Corona-Krise habe tiefe Spuren hinterlassen, die Digitalisierung sei angelaufen, viele Baustellen seien aber offen – und jetzt komme noch die Beschulung von Flüchtlingskindern aus der Ukraine hinzu. Landrat Rock (ehemaliger Grundschulleiter) pflichtete bei: Die Situation in manchen Schulen sei nach wie vor schwierig. Er forderte: „Wir müssen den Kollegien jetzt Luft lassen zum Atmen.“

Aber wie? Nilgül Karabulut-Klöppelt, selbst ehemalige Gymnasiallehrerin, stellte fest, dass das größte Problem der Schulen derzeit die unzureichende personelle Besetzung sei. „Ohne Lehrkräfte nützt die beste Ausstattung nichts“, betonte sie mit Blick auf den 6,5 Milliarden Euro schweren Digitalpakt des Bundes, aus dem die digitale Technik für Schulen finanziert wird. Das bedeutet für sie in Sachen Digitalisierung konkret: Die Lehrkräfte, über die eine Schule verfüge, müssten von der IT-Administration entlastet werden, um sich auf den Unterricht konzentrieren zu können.

Systemisches Denken notwendig

AixConcept-Geschäftsführer Jürgens bestätigte: Was den Support der IT von Schulen betreffe, gebe es „noch sehr viel Luft nach oben“. Der Umfang der technischen Ausstattung sei mancherorts geradezu „explodiert“ – einige Schulen verfügten mittlerweile über 300 oder 400 Endgeräte. Allzu häufig jedoch werde dabei aber nicht systemisch gedacht. Beispielsweise: Ein einfacher WLAN-Router könne so viele Rechner gar nicht ins Netz bringen. Die Folge: Schulen bekämen Geräte, die sie gar nicht nutzen könnten. „Es fehlt Unterstützung, um die Technik dann auch zum Einsatz zu bringen.“ Dabei gebe es zum Teil lange Wartezeiten.

Der Fachmann betonte: „Die nötige Betreuung hört nicht auf, wenn die Endgeräte in die Schule gekommen sind. Ohne die wird es nicht gehen.“ Jürgens brach eine Lanze für den Mittelstand: Schulen bräuchten technische Unterstützung vor Ort, die im Bedarfsfall schnell reagieren könne – und diese könnten nun mal nur Unternehmen leisten, die (anders als die Kommunen) über genügend Fachkräfte und Know-how verfügten. Jürgens Forderung: „Die Lehrkraft muss in die Schule gehen, ihr Gerät einschalten und damit arbeiten können – alles andere sollte sie nicht interessieren müssen.“

Ich wehre mich dagegen, dass jedes Bundesland zu einem digitalen Unternehmer mutiert.

Jürgen Böhm, Vorsitzender des Verbands deutscher Realschullehrer

Böhm stimmte zu: „Systemadministratoren kann man outsourcen“, so betonte er mit Blick auf den öffentlichen Dienst. Ohnehin sollte sich der Staat nicht verzetteln, indem er unnötige Aufgaben übernimmt. „Ich wehre mich dagegen, dass jedes Bundesland zu einem digitalen Unternehmer mutiert“, sagte er – offenbar mit Blick auf die Lernplattformen von Bund und Ländern, die derzeit mit viel Mühe (und wenig zufriedenstellenden Ergebnissen) aus dem Boden gestampft werden.

Nilgül Karabulut-Klöppelt betonte: „Unsere Kinder sind keine Lernroboter.“ Schule sei ein Lebensort, der Sozialarbeiter und Psychologen benötige. Ohne ein solches Netz könnten viele Schülerinnen und Schüler nicht lernen. Sie forderte: „Wir dürfen den menschlichen Faktor nicht dem Digitalen unterordnen.“ Und: Die Technik müsse der Pädagogik folgen, nicht umgekehrt (wobei die Runde zustimmend nickte).

Lehrkräfte nicht für berufsfremde Aufgaben verheizen!

Böhm reagierte: Eine perfekte Lösung wäre eine Personalausstattung im System von 110 bis 130 Prozent – also einer personellen Reserve von 10 bis 30 Prozent an Schulen, um auf Ausfälle und Krisen angemessen reagieren zu können. Andererseits dürften die Lehrkräfte nicht für berufsfremde Aufgaben „verheizt“ werden. Bedeutet im Fall Digitalisierung: „Wir müssen eine Verknüpfung mit der heimischen mittelständischen Wirtschaft hinbekommen.“ Volker Jürgens: „Wir machen das in vielen Kommunen seit 20 Jahren – und können vom Kabellegen bis zur Weiterbildung der Lehrkräfte alles anbieten.“