Das schwarz-weiß Foto zeigt eine durch Bomben zerstörte Straße in London, in der fünf Feuerwehrleute versuchen, einen Brand zu löschen.
Foto: Everett Collection/Shutterstock

Geschichte im Unterricht erleben – die Digitalisierung macht’s möglich

Schulstunden anschaulich gestalten, das möchten wohl alle Lehrkräfte. Je nach Fach stehen ihnen dafür unterschiedliche Methoden zur Verfügung. Gerade digitale Technologien bieten zur Veranschaulichung von Unterrichtsinhalten neue Möglichkeiten. Im Fach Geschichte gibt es in diesem Bereich drei spannende Projekte, die die Vergangenheit in die Gegenwart holen und es Schüler*innen ermöglichen, einen Bezug zu den damaligen Ereignissen zu entwickeln.

„LeMO – Lebendiges Museum Online“ ist ein Kooperationsprojekt vom Deutschen Historischen Museum in Berlin, der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn und dem Bundesarchiv. Es handelt sich um ein kostenfreies Online-Portal zur deutschen Geschichte, vom 19. Jahrhundert bis heute. Die Internetseite ist übersichtlich gestaltet und in Rubriken aufgeteilt. Über einen Zeitstrahl, der die wichtigsten Ereignisse der deutschen Geschichte aufführt, gelangen Nutzer*innen zu den jeweiligen Epochen. Diese umfassen Berichte von Zeitzeug*innen, Abbildungen, Plakate und Fotografien aus der Zeit. Teilweise ergänzen Audioaufnahmen, Biografien und Chroniken das Material sowie Videos, zum Beispiel mit Ausschnitten aus der Wochenschau zu den Nürnberger Prozessen oder zum NATO-Beitritt der Bundesrepublik Deutschland. Die geschichtlichen Ereignisse sind in Kapitel chronologisch unterteilt und werden in leicht verständlichen Texten erklärt. Zu einigen Themenbereichen bietet das Online-Portal Spiele, die es etwa Schüler*innen ermöglichen, interaktiv in die Geschichte einzutauchen.

Jedes auf der Internetseite gezeigte Objekt ist aus dem Bestand einer der drei kooperierenden Institutionen und wird von einer Erläuterung begleitet. Mit der Suchfunktion können Nutzer*innen auf der Internetseite gezielt Einträge zu einem spezifischen geschichtlichen Ereignis aufrufen. Das Projekt ist seit 1998 online und wird seitdem ständig aktualisiert. Das Deutsche Historische Museum verantwortet die Inhalte vor 1945, das Haus der Geschichte die Zeit von 1945 bis zur Gegenwart und das Bundesarchiv stellt Bilder, Dokumente sowie Medien zur Verfügung.

Ein für Lehrkräfte besonders interessantes Angebot ist die Rubrik LeMO Lernen“, die Lehrmaterialien bereitstellt, um das Geschichtsportal im Schulunterricht oder zur Vor- und Nachbereitung eines Museumsbesuches zu nutzen. Lehrer*innen finden dort unter anderem Online-Führungen zum Thema „Demokratie und Diktatur“ sowie Unterrichtsanregungen, wie sie mit ihren Schüler*innen Geschichtsthemen anhand einzelner auf der Internetseite abgebildeter Ausstellungsstücke bearbeiten können.

Zeitzeugnisse digital einbinden

Zeitzeug*innen direkt in den Unterricht bringt die kostenfreie App „WDR AR 1933-1945“ des Westdeutschen Rundfunks. Seit 2019 können Lehrer*innen mit ihr Zeitzeug*innen der NS-Zeit digital ins Klassenzimmer holen. Möglich ist dies durch die Augmented Reality (AR) Technologie, die die reale Welt um virtuelle Aspekte ergänzt. In diesem Fall bettet die App Zeitzeug*innen wie Hologramme in die Umgebung der Benutzer*innen ein. Auf dem Bildschirm des Tablets oder des Smartphones sitzen die Zeitzeug*innen dadurch mit im Raum, wenn sie von ihren Erlebnissen und Beobachtungen berichten.

Den Machern der App ist es wichtig, dass die Erfahrungen derjenigen, die über die Schrecken des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs berichten können, nicht verloren gehen. Denn altersbedingt gibt es immer weniger Zeitzeug*innen, die vor Ort im Klassenraum vom Krieg und der Judenverfolgung berichten können. „Wir stehen am Anfang einer Zeit ohne Zeitzeugen. Wir dürfen aber nicht vergessen, was im Zweiten Weltkrieg passiert ist und welches Leid der Krieg den Menschen bringt“, erläutert WDR-Intendant Tom Buhrow das Ziel der App. „Unsere Aufgabe ist es, diese Erinnerung auch in Zukunft wachzuhalten.“

Für die App führte das Produktionsteam Interviews mit Zeitzeug*innen unter anderem in London und Sankt Petersburg, um Berichte über den Bombenkrieg gegen England und die Einkesselung des damaligen Leningrads zu bekommen. Zusätzlich bietet die Anwendung regionale Erfahrungsberichte aus der Zeit, zum Beispiel aus Köln. Unter den Berichten der Zeitzeug*innen finden sich zudem Erzählungen von zwei Freundinnen Anne Franks sowie von Soldaten, die von ihren Erlebnissen an der Front berichten. Die App ist in mehrere Kapitel unterteilt. Für den Einsatz im Unterricht existiert umfassendes Begleitmaterial, das in Zusammenarbeit mit Planet Schule, ein Bildungsangebot von SWR und WDR, erstellt worden ist.

Es ist nicht für uns, es ist für euch, dass ich das erzähle – als Warnung. Denn ihr müsst dafür sorgen, dass das nie wieder geschieht.

Margot Friedländer, Zeitzeugin des Nationalsozialismus und Überlebende des KZ Theresienstadt

Die Erinnerungen von Zeitzeug*innen lebendig halten, das wollen auch die Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf und die Volucap GmbH mit ihrem Kooperationsprojekt „Zeitzeugnis von Holocaustüberlebenden“, das sich zurzeit noch in der Entwicklung befindet. Dokumentarfilmregisseur Christian Zipfel interviewt dafür mehrere Holocaustüberlebende im Volucap Studio in Potsdam-Babelsberg. Mit der zum Einsatz kommenden volumetrischen Aufzeichnungstechnik lässt sich anschließend ein fotorealistisches und dreidimensionales Abbild schaffen. Zu diesem Zweck filmen über 30 Kameras gleichzeitig die einzelnen Interviews. In die auf diese Weise digital generierte Realität können die Zuschauer*innen später mithilfe einer Virtual Reality-Brille (VR) eintauchen. Diese virtuelle Umgebung soll zu einer besonders eindrucksvollen Erfahrung führen. Zipfel beschreibt das dreidimensionale Erlebnis folgendermaßen: „Die Zuschauenden können sich zu einem gewissen Grad in diesem digitalen Werk bewegen, wodurch das Gefühl eines räumlichen Eintauchens (Immersion) entsteht, das eine hohe emotionale Involvierung ermöglicht.“

Zu den Zeitzeug*innen, die sich am Projekt beteiligen, gehört die hundertjährige Margot Friedländer, die über ihre Zeit im Untergrund und im Konzentrationslager Theresienstadt berichtet. Ihr ist wichtig, durch das Projekt auch über ihre Lebenszeit hinaus jungen Menschen von ihrem Leben im Dritten Reich berichten zu können. „Es ist nicht für uns, es ist für euch, dass ich das erzähle – als Warnung. Denn ihr müsst dafür sorgen, dass das nie wieder geschieht“, sagt Friedländer an die zukünftigen Generationen gewandt.

Langfristig soll im Zuge des Projekts ein Archiv mit acht volumetrisch aufgezeichneten Interviews entstehen. Zusätzlich zu den Berichten der Zeitzeug*innen sollen Interviews mit Angehörigen und Nachkommen das Angebot erweitern. Das Archiv soll Schulen und anderen Bildungseinrichtungen zur Verfügung gestellt werden. Gefördert wird das Projekt vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Energie des Landes Brandenburg, das damit einen „wichtigen Beitrag zur deutschen und europäischen Erinnerungskultur“ leisten will.

Geschichte entdecken, ohne den Klassenraum verlassen zu müssen – das ermöglichen die drei digitalen Projekte. Sie zeigen eindrücklich den Mehrwert, den schulische Digitalisierung bieten kann.