Prof. Fthenakis im AixConcept-Interview: „Die Pädagogik hierzulande hat systematisch die Kinder unterfordert“

Ihm sei es stets darum gegangen, die Kinder zu unterstützen, die im Bildungssystem zu kurz kommen – erklärte Deutschlands renommiertester Frühpädagoge Professor Dr. mult. Wassilios Fthenakis, in einem Gespräch mit dem Journalisten Stefan Malter. Ort des Geschehens: der Stand von AixConcept, dem IT-Dienstleister für Schulen, auf der Bildungsmesse didacta in Köln. Thema: „Schülerzentrierte Lernprozesse – das wirkliche Potenzial digitaler Technologien“. Fthenakis brach dabei eine Lanze für die Digitalisierung der Bildungseinrichtungen. Der Einsatz der Technik vergrößere die Fördermöglichkeiten enorm – und damit die Bildungschancen insbesondere von besonders förderbedürftigen Kindern.

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Wassilios Fthenakis ist ein Wissenschaftler, der längst nicht mehr um Anerkennung ringen muss: Der mittlerweile 84-Jährige war 30 Jahre lang Direktor des Staatsinstituts für Frühpädagogik in München, forschte als Professor für angewandte Entwicklungspsychologie und Familienforschung an der Universität Augsburg und anschließend als Professor für Entwicklungspsychologie und Anthropologie an der Freien Universität Bozen. Er ist Träger des Bundesverdienstkreuzes und des Bayerischen Verdienstordens, er ist Ehrenpräsident des Didacta-Verbands der Bildungswirtschaft – und er ist niemand, der mit seiner Meinung hinter dem Berg hält.

Schon 1985 habe er ein erstes Handbuch über bilinguale Erziehung geschrieben. Seinerzeit sei ihm vorgeworfen worden, Eltern dazu verleiten zu wollen, ihre Kinder zu überfordern. Heute, 37 Jahre später, habe er gerade zwei Wochen allein mit seinem sechsjährigem Enkel verbracht – der ihm in flüssigem Englisch seine Lebenspläne dargelegt habe. Bilingualität sei mittlerweile selbstverständlich. 

Fthenakis Fazit: „Die Pädagogik hierzulande hat systematisch die Kinder unterfordert, hat ihnen nicht die Anregung gegeben, die sie bräuchten, hat sie nicht herausgefordert, sich selbst weiterzuentwickeln“, meint Fthenakis. Es handele sich um eine „Schonungspädagogik“, die bis heute gepflegt werde – was sich in der in Deutschland besonders ausgeprägten Skepsis gegenüber digitalen Lernmitteln zeige.

„Das Kind lernt, mit Ausdauer bei einer Sache zu bleiben. Die Ausdauer ist eine Zukunftskompetenz“

Ob das ein deutsches Problem sei, will Malter wissen? Ja, meint Fthenakis – die Mentalität der Menschen hierzulande schätze Kontinuität, ein Leben möglichst ohne Brüche. Entsprechend habe sich eine Pädagogik etabliert, der zufolge ein kleines Kind ja nicht lernen müsse, sondern nett spielen solle, möglichst in einem schönen, angenehmen Raum. „Damit hat man die Kinder unterfordert“, sagt der Wissenschaftler. Er betont: „Wenn Sie Kinder von heute beobachten, die Kinder, deren Eltern früh mit ihnen gesprochen, kommuniziert haben, dann werden Sie sehen, das sind veränderte Kinder.“ Fthenakis Schlussfolgerung: Kinder ernst nehmen – und sie nicht in einem Schonraum klein halten.

Das gelte auch für den Bereich der digitalen Medien. Ende des 18. Jahrhunderts habe es eine Riesenaufregung in Deutschland gegeben – um das Lesen. Das beeinträchtige die Gesundheit der jungen Leute beeinträchtige, führe zu Aufmüpfigkeit und schade den Augen. 150 Jahre später sei gegen das Fernsehen gewettert worden – mit den gleichen Argumenten. „Heute führen wir hinsichtlich der digitalen Medien exakt die gleiche Debatte“, so Fthenakis. Wenn heute Eltern zu ihm kämen und sich darüber beschwerten, dass ihr Kind zu viel Zeit vor dem Bildschirm verbringe, frage er sie: Welche Anregungen geben Sie Ihrem Kind? Kinder entschieden sich nun mal für die anregungsreicheren Angebote – und das könnten eben auch digitale sein. Was sei daran schlecht? Fhtenakis: „Kinder brauchen digitale Kompetenz.“

Denn schließlich seien sie es, die später – als Erwachsene – die Welt von morgen zu gestalten hätten. Kinder müssten lernen, mit der sich wandelnden Welt kreativ umzugehen. Das Wissen von gestern sei dabei nur von begrenztem Nutzen. Also mache es wenig Sinn, sie in ihrer Entwicklung nach überkommenen Vorstellungen zu begrenzen. Selbst ein Übermaß an Videospiel-Konsum habe eine gute Seite. Fthenakis: „Das Kind lernt, mit Ausdauer bei einer Sache zu bleiben. Die Ausdauer ist eine Zukunftskompetenz.“