„Der konkrete Einsatz im Fachunterricht ist die größte Herausforderung“ – ein Interview mit Professorin Julia Knopf

Wie können Lehrkräfte digitale Tools sinnvoll im Unterricht einsetzen? Welche Kompetenzen müssen sie und die Schülerinnen und Schüler dafür mitbringen? Und wie sieht die weitere Entwicklung in diesem Bereich zukünftig aus? Darüber sprach Einfach.Digital.Lernen. (EDL) mit Professorin Julia Knopf, Leiterin des Lehrstuhls Fachdidaktik Deutsch Primarstufe an der Universität des Saarlandes und geschäftsführende Leiterin des Forschungsinstituts Bildung Digital. Als Expertin für digitale Bildung setzt sie sich unter anderem für die Verzahnung von analogen und digitalen Lernangeboten ein und entwickelt gemeinsam mit ihrem Team digitale Lernangebote.

Einfach.Digital.Lernen.: Frau Prof. Knopf, Sie beschäftigen sich in Ihrer Forschung schwerpunktmäßig mit digitalen Tools im Lehr-Lern-Prozess. Welche Vorteile können diese bieten?

Julia Knopf: Zunächst müssen diese Tools gewisse Voraussetzungen erfüllen, damit sie sinnvoll im Unterricht sowie bei der Vorbereitung eingesetzt werden können. Ich nenne mal ein paar Beispiele: Es muss ein Lehrplanbezug bestehen. Das heißt, die Inhalte von Lern-Apps müssen auf die zu fördernden Kompetenzen abgestimmt sein und es muss klar sein, welche Kompetenzen das sind. Es gibt viele Tools, bei denen vor lauter Gamification nicht ersichtlich ist, was Schülerinnen und Schüler mit ihnen eigentlich lernen sollen. Außerdem müssen die Inhalte fachdidaktisch angemessen und korrekt vermittelt werden.

Es gibt viele Tools, bei denen vor lauter Gamification nicht ersichtlich ist, was Schülerinnen und Schüler mit ihnen eigentlich lernen sollen.

Prof. Julia Knopf

Erfüllen digitale Tools die genannten Aspekte, lassen sie sich unterschiedlich einsetzen. Wir haben zum Beispiel ein eigenes Tool entwickelt, das Lehrkräfte bei der Unterrichtsvorbereitung unterstützt. Es gibt Tools oder Apps, die zum Lesen motivieren und sehr interaktiv genutzt werden können, bei denen ich als Leserin mit in die Geschichte einbezogen werde. Ganz entscheidend ist immer der Mehrwert, den ein Lerntool für die Schülerinnen und Schüler bietet.

EDL: Das heißt also, die Auswahl ist gar nicht so einfach. Gibt es Checklisten oder andere Möglichkeiten, die Lehrkräfte dabei unterstützen können?

Knopf: Offiziell gibt es sowas nicht. Wir versuchen aber, solche Checklisten oder Tipps über unsere Projekte zu verbreiten, wie über unsere Plattformen „school to go“ und „Lesen to go“. Auf der Plattform „Lesen to go“ finden Sie beispielsweise Empfehlungen für Apps, die sich aus unserer Sicht eignen, um das Lesen zu fördern. Ich rate, sich nicht von Marketing und Design blenden zu lassen und immer auf vertrauenswürdigen Seiten nach Empfehlungen zu suchen. Die Stiftung Lesen eignet sich dafür zum Beispiel auch. Ein gutes Zeichen ist, wenn Apps interdisziplinär entstanden sind, an der Erstellung also Lehrkräfte sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beteiligt waren und nicht nur ein Technologieunternehmen.

EDL: Wenn Lehrkräfte bei der Auswahl darauf achten, dass die Apps den Anforderungen genügen, die Sie gerade erwähnt haben, gibt es noch weitere Punkte, die sie beim Einsatz im Unterricht beachten müssen, damit sie mit ihnen tatsächlich einen positiven Lerneffekt erzielen können?

Knopf: Es ist nicht damit getan, eine App auf alle Tablets in der Klasse zu spielen und die Schülerinnen und Schüler sich damit eine Stunde beschäftigen zu lassen. Im Prinzip ist eine digitale Anwendung nichts anderes als ein Arbeitsblatt, ein Buch, ein handlungs- und produktionsorientiertes Verfahren oder ein szenisches Spiel: Es ist eine zusätzliche Möglichkeit, Inhalte zu vermitteln. Man muss den Einsatz einer digitalen Anwendung im Unterricht gut planen, damit sie eine sinnvolle Ergänzung zu anderen didaktischen Inhalten darstellt. Digitale Anwendungen schaffen zusätzliche und neue Möglichkeiten, aber das didaktische Arrangement der Lehrkräfte hat sich nicht verändert.

EDL: Lassen sich mit diesem Argument eventuell auch Lehrkräfte überzeugen, die digitalen Medien eher kritisch gegenüberstehen?

Knopf: Ja, das ist definitiv so. Aber letzten Endes ist das Wichtigste, dass die Lehrkräfte qualifiziert werden und dass es genügend Fortbildungen für Lehrkräfte gibt. Sie müssen lernen, was Digitalisierung konkret für ihr Fach und ihre Jahrgangsstufe bedeutet. Natürlich braucht man allgemeine Einführungen, um zu lernen, wie man mit einem Tablet oder interaktiven Whiteboard arbeitet, aber der konkrete Einsatz im Fachunterricht ist die größte Herausforderung.

EDL: Wie lassen sich digitale Medien lernorientiert beispielsweise im Deutschunterricht einsetzen?

Knopf: Beim Verfassen von Texten haben wir zum Beispiel drei Stufen: das Planen des Textes, das eigentliche Schreiben und das Überarbeiten. Bleiben wir mal nur beim Planen. Wenn Schülerinnen und Schüler einen Text planen sollen, brauchen sie Impulse. Das hat man früher oft gemacht, indem man Wörter vorgegeben, einen Text gelesen oder Arbeitsblätter zur Verfügung gestellt hat. Heute kann ich eine angeleitete Recherche im Internet machen lassen und dabei Musik und Videos genauso einbeziehen wie Texte. Allerdings müssen die Schülerinnen und Schüler dafür lernen, wie man sinnvoll im Internet recherchiert.

Zum Verfassen von Texten gibt es wunderbare Schreibapps, mit denen ich auch Bild-Text- oder Bild-Video-Text-Kombinationen ganz leicht erstellen und somit selbst interaktive Texte produzieren kann. Solche Apps lassen sich schon in der Grundschule einsetzen.

Im Prinzip kann ich in jede Phase des Schreibprozesses digitale Möglichkeiten einbinden. Auf unseren Plattformen „school to go“ und besonders „Fit in Deutsch“ finden Sie entsprechende Anregungen. Dort erfahren Sie unter anderem, wie Sie selbst Stories als Videos erstellen und das Einsprechen zugehöriger Texte für die Schulung der mündlichen Kompetenzen nutzen können.

Schülerinnen und Schüler sind zwar medienaffin, ganz klar, aber diese für die Schule relevanten Kompetenzen müssen sie genauso neu erwerben wie die Lehrkräfte.

Prof. Julia Knopf

EDL: Wir haben schon über die Kompetenzen gesprochen, die Lehrkräfte benötigen, um digitale Tools im Unterricht einzusetzen. Wie ist das denn bei den Schülerinnen und Schülern? Welche Kompetenzen benötigen sie, bevor sie mit digitalen Tools erfolgreich lernen können?

Knopf: Es wird oft behauptet, dass Schülerinnen und Schüler den Lehrkräften in technischer Hinsicht voraus seien: Sie wissen, wie man die Endgeräte bedient und kennen sich mit den sozialen Medien bestens aus. Aber die Kompetenzen, die ich gerade angesprochen habe, also wie recherchiere ich sinnvoll im Netz, wie nutze ich digitale Endgeräte als Schreibmedien, wie wähle ich sinnvolle Anwendungen aus, wie gehe ich mit einer Lese-App um – über diese verfügen sie nicht. Das heißt, Schülerinnen und Schüler sind zwar medienaffin, ganz klar, aber diese für die Schule relevanten Kompetenzen müssen sie genauso neu erwerben wie die Lehrkräfte.

EDL: Was sind spezifische Herausforderungen für Lehrkräfte beim Einsatz digitaler Tools?

Knopf: Das Wichtigste ist erst einmal die technische Ausstattung. Aber bitte Achtung, wir brauchen keine Vollausstattung, um digitalgestützt zu unterrichten. Dafür sind keine fünfzig Tablets und drei Whiteboards notwendig; oft reichen schon ein Tablet und ein Beamer. Zumal die Schülerinnen und Schüler ab einer gewissen Jahrgangsstufe ihre eigenen Endgeräte haben, die man zum Teil auch nutzen kann. Ich weiß, in der Praxis hat dieses Vorgehen wieder weitere Hürden, etwa, dass die Lehrkräfte dann kontrollieren müssen, dass die Schülerinnen und Schüler keine anderen Internetseiten besuchen. Aber auf diese Weise lässt sich die erste spezifische Herausforderung angehen, um digitale Tools einsetzen zu können.

Die zweite Herausforderung besteht aus meiner Sicht in der Auswahl der Inhalte. Da gilt es, die Spreu vom Weizen zu trennen. Lehrkräfte sollten genau prüfen, welche Inhalte sich für den Einsatz im Unterricht eignen. Das ist meiner Meinung nach im Moment die größte Herausforderung. Ich plädiere daher schon lange für eine Zertifizierungsstelle, eine bundesweite Anlaufstelle, die Impulse für den Unterricht gibt, geeignete digitale Inhalte empfiehlt und zum Download zur Verfügung stellt oder eine Handreichung zur Unterstützung bei der Auswahl bietet.

Ich halte nichts vom Bashing auf die Schulen der vergangenen Jahre, dass alles zu langsam vorangeht.

Prof. Julia Knopf

EDL: Wenn Sie in die Zukunft blicken, wie wird sich Unterricht auch vor dem Hintergrund der digitalen Medien weiterentwickeln?

Knopf: Wir müssen aufpassen, dass wir nach der Corona-Krise nicht in das traditionelle Unterrichten zurückfallen, sondern die Potenziale digitaler Möglichkeiten weiterhin nutzen. Da passiert im Moment auch sehr viel durch die Einrichtung von Kompetenzzentren und die Ausschreibung von Vernetzungsstellen durch den Bund. Ich glaube, dass die digitalen Möglichkeiten zunehmend ganz normaler Bestandteil des Unterrichts werden. Allerdings braucht es Zeit, um das zuvor analoge Schulsystem zu digitalisieren. Wir können nicht erwarten, dass sich innerhalb von zwei, drei Jahren ein solches System komplett wandelt, und ich halte nichts vom Bashing auf die Schulen der vergangenen Jahre, dass alles zu langsam vorangeht. In der Corona-Krise haben sich die Schulen über

Nacht umgestellt und Clouds eingeführt, mit denen sie jetzt weiterarbeiten. Da ist sehr viel passiert und dann muss man auch mal sagen: Respekt!

Was noch fehlt, sind ausreichende Qualifizierungsangebote für Lehrkräfte. Diese Fortbildungsangebote sollten on demand abrufbar sein, damit Lehrkräfte jederzeit auf sie zugreifen können, zum Beispiel, wenn sie akuten Bedarf haben, etwa bei der Unterrichtsvorbereitung für den nächsten Tag. Dann darf der Kurs aber nicht acht Stunden dauern. Hilfreicher sind kurze Einheiten, die vielleicht eine Viertelstunde umfassen und die Lehrkräfte unkompliziert in ihren Alltag integrieren können. Die Herausforderung dabei ist, dass solche Fortbildungsangebote natürlich gemonitort werden müssen, um die Qualität zu gewährleisten. Eine Zusammenarbeit mit den Landesfortbildungsinstituten wäre dabei zum Beispiel sinnvoll.